Der Kreistag hat im Juli 2014 beschlossen, bis Mitte 2015 das bestehende Abfallwirtschaftskonzept im Landkreis zu reformieren. Bei dessen Gestaltung wird man aber auch von der erwarteten Ausgestaltung eines neuen Wertstoffgesetzes abhängig sein, das ebenfalls für 2015 erwartet wird. In diesen Gesetzgebungsprozess sollten sich die politischen Parteien dringend einschalten, um Fehlentwicklungen und Fehlgestaltungen durch Lobbyismus der bestehenden, privatwirtschaftlich orientierten Erfassungssysteme vorzubeugen.

Unter der Landrätin Rosemarie Grützner (SPD) wurde Anfang der 90iger Jahre gegen viele Widerstände ein Abfallwirtschaftskonzept für den Landkreis durchgesetzt, das die Trennung und Erfassung von recycelbaren Wertstoffen deutlich voranbringen sollte (bis dahin gab es genau eine Abfalltonne für jeden Müll). Ein gut organisiertes System von kleinen und großen Wertstoffhöfen konnte das ermöglichen und war damals sicher richtungsweisend. Die so genannten „gelben Säcke bzw. Tonnen“ wurden erst deutlich später eingeführt.

Veränderte Rahmenbedingungen in der Abfallswirtschaft

Fast ein viertel Jahrhundert später haben sich aber die Rahmenbedingungen, unter denen ein modernes Abfallwirtschaftskonzept arbeiten kann und muss, deutlich geändert:

  • Die Technik hat hochmoderne Sortieranlagen entwickelt, die teilweise automatisch jeden Müll nach Wertstofffraktionen trennen kann. Die Frage, ob wirklich jeder Haushalt noch eine eigenen, kleinen Wertstoffhof zu hause vorhalten muss, um korrekt zu trennen, stellt sich schon. Dies vor allem vor dem Hintergrund, dass die „Sammelleidenschaft“ angesichts dieser oft mühsamen Selbstorganisation der Privathaushalte deutlich nachgelassen hat.
  • Das bisher favorisierte Bringsystem zu den Sammelstellen mag früher die erste Wahl gewesen sein. Ob es aber ökologisch sinnvoll ist, Tausende Privathaushalte meist mit dem eigenen PKW wöchentlich zu Sammelstellen zu schicken, darf zumindest bezweifelt werden. Für Manchen mag dieser wöchentliche Gang zu einem festen Ritual mit vielfältigen Sozialkontakten geworden sein, die Meisten empfinden ihn als lästige und weitgehende sinnfreie Pflichtübung. Gerade älteren oder bewegungstechnisch eingeschränkten Menschen ist dieser Weg eigentlich gar nicht zuzumuten und sie bleiben von der Beteiligung an sinnvoller Kreislaufwirtschaft ausgeschlossen.
  • Der Versuch, Wertstoffe durch die Dualen Systeme („grüner Punkt“) erfassen zu lassen und dies durch Lizenzgebühren der Verpacker gegenzufinanzieren, hat zumindest vor dem Ziel, eine tragfähige Kreislaufwirtschaft zu installieren und Recyclingquoten zu steigern, komplett versagt.
  • Angesichts der komplizierten Trennungsvorgaben und schwer überschaubaren Hintergründe der Entsorgungssysteme schwindet die Bereitschaft der BürgerInnen zusehends, aktiv und engagiert an ökologisch vernünftigen Kreislaufsystemen der Entsorgung mitzuarbeiten.

Allerdings muss der Landkreis nach aktueller Gesetzeslage mit den gesetzlich vorgesehenen, privatwirtschaftlich organisierten Dualen Systemen kooperieren. Aktuell erheben diese Lizenzgebühren für die mit einem grünen Punkt gekennzeichneten Verpackungen bei den Herstellern und sollen im Gegenzug deren Entsorgung sichern. Nachdem diese bei uns fast akribisch sortiert abgeliefert werden und nicht abgeholt werden müssen, beteiligt sich das Duale System an den Einrichtungen unseres Abfallkonzepts mit hübschen Summen und sorgt so für stetig sinkende oder mindestens gleich bleibende Müllgebühren. Andererseits führt das dazu, dass für den Bürger unverständlich bei unseren Sammelstellen zwar Verpackungsmüll (also der für das DSD) abgegeben werden kann, anderes Plastik aber nicht.

Handlungsmöglichkeiten im kommunalen Bereich

Der Landkreis will gegen Gebühr zum 1. November 2014 eine türkisfarbene Wertstofftonne auf Anfrage zur Verfügung stellen, in der Plastikabfälle gesammelt werden können. Wegen des oben beschriebenen „Pseudo-Monopols“ des DSD auf Verpackungen dürften solche dort aber nicht deponiert werden, weil das DSD angesichts seiner Zuzahlungen für das hiesige Abfallkonzept, also die Wertstoffhöfe, seine Zustimmung verweigert. Dem Landkreis bleibt so nichts anderes übrig, als augenzwinkernd auf Anfrage zu erklären, dass niemand den Inhalt der Tonnen auf „richtiges“ oder „falsches“ Plastik kontrollieren werde.

Schon dieses eher skurrile Detail zeigt einmal mehr, dass die bundesweite Konzeption der Wertstofferfassung noch wesentlich reformbedürftiger ist als unser Erfassungssystem im Landkreis. Dessen zukünftige Ausgestaltung bildet aber auch den Rahmen an Möglichkeiten ab, die ein reformiertes Abfallwirtschaftskonzept hier bieten kann.

Der Kreistag sollte sich aber seiner Geschichte als Vorreiter in Sachen Abfallkonzept bewusst werden und sich hier in die politische Diskussion im Vorfeld eines neuen Wertstoffgesetzes einschalten. Der Bundesverband kommunaler Unternehmen hat hier bereits eindeutige Positionen bezogen genauso wie GemIni, eine Initiative aus kommunalen und privatwirtschaftlichen Entsorgern, die sich eindeutig für ein Ende des bisherigen Dualen Systems einsetzt. In einer Fortführung der bisherigen Arbeit sollte auch der Landkreis FFB sich hier einbringen.

Fortführung des Duales Systems („grüner Punkt“) ja oder nein

Das DSD wurde ursprünglich eingeführt in der Hoffnung, über die Lizenzgebühren die Hersteller in Verantwortung für die von ihnen in Verkehr gebrachten Verpackungen zu nehmen und zugleich Verbrauchern ein gesteigertes Umweltbewusstsein über die nachfolgende Trennung des Mülls zu vermitteln. Ökologische Grundgedanken waren auch dabei, aber eher nachrangig. Ein gesteigertes Umweltbewusstsein der Bürger ist sicher zu verzeichnen, das sich aber möglicherweise auch trotz des DSD entwickelt hat. Ganz sicher hat es die Industrie nicht zum Umdenken bewegt. Nachdem interessanterweise keine Zahlen ermittelt werden, lässt sich die Anzahl der nicht oder gefälscht mit einem grünen Punkt ausgestatteten Verpackungen nur schätzen. Sie liegen ziemlich sicher in der Größenordnung von 30 %, vielleicht auch deutlich höher (bis 45%).

Trotz dieser Unterlizensierung muss das ganze ein gutes Geschäft sein. Nach dem sich die DSD, abwechselnd AG oder GmbH und ursprünglich finanziert von der Lebensmittel- und Verpackungsindustrie ein Jahrzehnt bequem als Monopolist gerieren konnte, steigen nach kartellrechtlichen Klagen auch zunehmend andere Unternehmen in dieses Geschäft ein. Neben großen Entsorgern handelt es sich dabei anscheinend auch um reine Investmentgesellschaften, es scheint sich also um eine sichere Anlage zu handeln. Das hat zwar die reinen Stückkosten der Entsorgung „überraschend“ um die Hälfte gedrückt, nach wie vor handelt es sich aber immer noch um eines der teuersten Entsorgungssysteme überhaupt im europäischen Raum.

Neben diesen finanziellen Aspekten gibt es aber 25 Jahre nach 1990 einen anderen Punkt zu bedenken: Nach wie vor geht es bei den DSD-Systemen lediglich um die Organisation der Abfuhr vorher durch die Hersteller dazu lizensierter Verpackungen, also eine eigentlich sinnfreie Paralellwirtschaft (daher „dual“) zur immer noch kommunal organisierten Abfuhr des ansonsten anfallenden Mülls. Ökologische Aspekte oder solche eines erwünschten Recyclings spielen keine Rolle. Die Abfuhr selbst wird natürlich delegiert unter Kostengesichtspunkten und führt dazu, dass hier eine weitere Branche eröffnet wurde, deren Beschäftigte deutlich an der Grenze des zu erwartenden Mindestlohns vegetieren müssen und der Gesellschaft Zusatzkosten über HartzIV-Zuzahlungen verursachen können (im Gegensatz zu tarifgebundenen Kommunalunternehmen).

Mittlerweile teilen sich mindestens sechs Unternehmen das Duale System und das Lizenzzeichen „grüner Punkt“, in dem der ehemalige Monopolist mit geschätztem Marktanteil von 50 % immer noch die Hauptrolle spielt. Über eine Clearingstelle teilen diese sich die jeweils entsorgten Müllmengen und damit den Anteil am Kuchen im Rahmen unklarer und sehr oft streitiger Verfahren auf, nachdem ja letztlich niemand wissen kann, was tatsächlich in den grünen Säcken gewesen ist. Vielfältige „Branchenlösungen“ und schwer nachvollziehbare Angaben über Müllmengen, die angeblich am POS, also im jeweils abgebenden Verkaufsladen zurückgegeben worden sind, weichen System und Nachvollziehbarkeit weiter auf. Vernünftige und zu Steuerungszwecken verwertbare Zahlen und Richtwerte über Müllströme und -verwertungen sind aus diesem rein finanziell orientiertem System jedenfalls nicht mehr zu erwarten.

Das DSD wurde installiert im Rahmen des Privatisierungswahns der 90iger Jahre, gegründet im Vorfeld der damals anstehenden Verpackungsverordnung, die seitdem 6 mal relativ erfolglos nachgebessert wurde. Gründer waren ursprünglich Unternehmen der Lebensmittel- und Verpackungsindustrie, die sich so nach heutzutage schon altbekanntem Muster aus der Verantwortung stehlen konnten, die ihnen eben diese Verordnung für den von ihr verursachten Müll auferlegen wollte. Nach kurzem Absinken hat sich die Menge an Verpackungsmüll aber wieder unbeschwert nach oben entwickelt, wenn auch langsamer im Vergleich zum allgemeinen Wirtschaftswachstum. Ökologische Forderungen kann und will es aber bis heute nicht erfüllen, geschweige denn nachweisen.

Rückführung der Entsorgung in kommunale Verantwortung

Die Geschichte des DSD hat wohl bewiesen, dass Mitverantwortung der Industrie zumindest über Mechanismen der Abfallwirtschaft nicht zu erreichen ist, sondern allenfalls über Marktmacht und vorhergehende Information der Verbraucher. Dies war aber das vordringlichste Argument für die damalige Errichtung eines dualen Systems. Auch damals schon eine Widersinnigkeit zu Zeiten, wo man über Synergien gesprochen hat und nicht über Doppelsysteme.

Es erscheint sinnvoll, der verschiedentlich geäußerten Forderung zu folgen, die Abfallentsorgung wieder komplett in die Hände der Kommunen zu geben, wo sie aus einer Hand und den örtlichen Gegebenheiten angemessen gestaltet werden kann. Die weitere Verwertung des angesammelten Mülls mag in technisch versiertere Hände gegeben werden. So kann auch jede Kommune für sich entscheiden, erstens ob sie die Entsorgung selbst durchführt oder vergeben will und zweitens welchen „Reinheitsgrad“ der Erfassung sie erreichen will, um ihn evtl. zu Geld machen zu können (also, welche Trennungs- und Bringwut sie von ihren BürgerInnen verlangt). Hier wird es auch Unterschiede geben zwischen einer Großstadt und einer Flächengemeinde in Brandenburg-Vorpommern.

Interessanterweise beziehen sich Gegenargumente seitens der Entsorgungslobby bisher hauptsächlich auf die angebliche Unfähigkeit von Managern kommunaler Unternehmen und nicht auf die Konterlogik dieser Parallel-Entsorgung. Kriminelles Fehlverhalten einzelner kommunaler Angestellter wird als Beweismittel herangezogen, während das mindestens ebenso desaströse Fehlverhalten deutscher Spitzenmanager der letzten 10 Jahre wohlwollend vergessen wird.

Elementar wichtig aber ist, dass bei einer Rückübertragung der Entsorgungshoheit auf die Kommunen auch die Verwertungshoheit dort verbleibt. Derzeit ist unstrittig, dass für Glas und Papier/Karton sowie Metall(Dosen)-Abfälle eindeutige Verwertungsgewinne zu erzielen sind, während dies für die gerade umstrittenen Verpackungs (also weitgehend Plastik-)Abfälle oder Biomüll noch durchaus umstritten ist. Bei letzteren stellen sich außerdem noch deutliche Fragen der ökologischen Sinnhaftigkeit Verbrennung vs. Recycling. Es kann aber nicht sein, dass die Kommunen als Vertreter ihrer BürgerInnen werthaltigen „Müll“ einem offenen Wettbewerb überlassen müssen und auf dem nicht vergoldbaren „Mist“ zu eigenen Kosten sitzen bleiben.

Der vielbeschworene freie Wettbewerb und auch gesellschaftlich gewollte Regelungsmechanismen bleiben so (und nur so) aber tatsächlich erhalten:

  • Die Kommunen können und müssen so selbst entscheiden, welchen Trennungs- und Entsorgungsaufwand sie betreiben wollen für bestimmte Wertstofffraktionen, für die am aktuellen Markt auch besondere Preise zu erzielen sind. Gewinne der Nachverwerter werden nicht beeinträchtigt, weil die Abgabepreise jetzt wieder einem freien Markt unterliegen und nicht einem undurchschaubaren Verschiebungssystem.
  • Derart von de-facto-Kartellen wie dem DSD freigestellte Mechanismen können auch wieder echte Marktpreise für bisher noch nicht erkannte Wertstoffe entwickeln und damit auch selbstständig neue Sammlungsstrategien entwickeln. Ein lediglich auf allgemeine Müllmengen fokussiertes System kann das nicht leisten. Bestes Beispiel: Die bisher lediglich als Nischenprodukt vermarktete Entsorgung von Alt-Handys.
  • Eine Rückführung der Entsorgungsaufgabe in staatliche Hand gibt die Gewähr dafür, dass die Gesellschaft selbst entscheiden kann, wie sie den Umgang mit Müll sinnvoll und auch unter Umweltgesichtspunkten gestalten will. Staatliche Erledigung der Entsorgungsaufgabe kann auch unter ökologischen oder nachhaltigen, also langfristigen Gesichtspunkten geregelt werden, privatwirtschaftliche nur über sofortigen Profit.

Gebühren und Kosten

Gerne wird ins Feld geführt das Argument, dass eine Verabschiedung vom DSD-Modell die Müllgebühren ansteigen lassen wird. Davor haben vor allem die Kommunen zu Recht Angst. Den Wegfall der bisherigen Lizenzgebühren für den grünen Punkt im Zehntelcentbereich wird angesichts des Preiskampfs im Handel tatsächlich kaum jemand bemerken, einen Anstieg der Müllgebühren wegen eines Jahresbeitrags im zweistelligen Eurobereich allein wegen der Zahl aber schon. Allerdings schrecken die Kommunen davor zu Unrecht zurück.

Zum ersten lässt sich dieser Zusammenhang im Rahmen einer öffentlichen Diskussion zu einem neuen Wertstoffgesetz auch inhaltlich darstellen. Zum Zweiten besteht schon die Hoffnung, dass bei einer alleinigen Entsorgungshoheit der Kommunen sich auch Verwertungserlöse besser realisieren lassen als bisher. Drittens werden sich die reinen Verwaltungskosten des bisherigen dualen Systems auf dem Markt verteilen. GemIni schätzt diese auf fast eine halbe Milliarde Euro pro Jahr.

Weiterführende Hinweise

  1. Der Verband kommunaler Unternehmen bietet auf seiner Website neben allgemeinen Informationen zwei ausführliche Hintergrunddokumente zum Download an. Einerseits ein ausführliches, von ihm auch beauftragtes Gutachten von Prof. Baum zur Neuausrichtung der Verpackungsentsorgung, andererseits ein „Schwarzbuch“ zur Verpackungsordnung. Der Link zum Download des pdf findet sich jeweils am Ende der Seite.
  2. Die im Text erwähnte Initiative GemIni verfügt derzeit noch über keine eigene Website. Sie wird durch eine Berliner Anwaltskanzlei vertreten, was kommerziellen Interessen mit Vorsicht entgegentretende Leser zu Mißtrauen veranlassen kann. Den in Kurzfassung dargestellten Argumenten tut das aber keinen Abbruch.
  3. Greenpeace klärt auf einer Seite über Mythen im Zusammenhang mit Abfallwirtschaft und grünen Punkt aus seiner Sicht auf.