Eine fundierte Analyse des für 2023 vorgelegten Haushalts zeigt auf, in welchem Ausmaß der letzte OB Raff (CSU) die notwendigen Investitionen in die Zukunftsfähigkeit unserer Stadt nicht nur ignoriert hat. In Missachtung beschlossener Satzungen werden sie für seinen Nachfolger derart teuer, dass ihre Umsetzung tatsächlich ins Wanken gerät.

Die SPD-Fraktion verfügt gottlob über Fachkräfte, die auch in den Tiefen eines insgesamt 800 Seiten umfassenden Zahlenwerks die relevanten Zahlen finden können, unter anderem in Gestalt des früheren Finanzreferenten Walter Schwarz. Er hatte bis 2020 Haushaltsberatungen begleitet und fand auch damals keine offenen Ohren für Mahnungen, die sich jetzt bewahrheiten:

Systematische Selbstverzwergung killt Entwicklung

So wurden systematisch auf der Einnahmenseite die Vorhersagen für Steuereinnahmen und Umlagezahlungen um mehrere Millionen unterschätzt. Fast in jedem Jahr wurden die im Haushalt veranschlagten Einnahmen bereits im September erreicht. Auf der Ausgabenseite werden Baukostenschätzungen durch mathematisch falsche Indexberechnungen und mehrfach übereinander geschachtelte „Sicherheitspolster“ derart in die Höhe gerechnet, dass sie am Ende sogar in aktuellen Krisenzeiten das Doppelte eines vernünftigerweise zu erwartenden Preises erreichen. Beides zusammen ergibt die Wirkung, dass sich die Stadt praktisch gar nichts mehr leisten zu können scheint.

Die „schwäbischen Hausfrauen“ mögen hier zu Recht einwenden, dass Vorsicht immer noch die Porzellankiste guter Wirtschaftsführung sei und die städtische Kämmerei als Hüter derselben hat notwendigerweise die Pflicht, auch so zu rechnen. In der Amtszeit des ehemaligen OB Raff hat sich diese Vorsicht aber über Schattenhaushalte zu einem System ausgeweitet, dringend nötige Investitionen in die Zukunftsfähigkeit unserer Stadt schlicht zu unterbinden getreu seinem Motto „wer nix macht, macht nix verkehrt“. Solche Argumente kann nur widerlegen, wer diese Zahlenwerke auch analysieren kann, also geschätzt 10% der Stadtratenden wie auch der interessierten Bürgerschaft und der beobachtenden Presse. Alle anderen müssen es glauben.

Walter Schwarz hat als Steuerberater einige Unternehmen bei Investitionsplanungen erfolgreich begleitet. Er glaubt vorgelegte „Horrorzahlen“ nicht, sondern gibt vielmehr zwei Kritikpunkte zu bedenken, die wir teilen:

Wirtschaftliches Umfeld wurde nicht berücksichtigt, der eigene Haushalt nicht ernst genommen

Bis Mitte des vergangenen Jahres 2022 war es für Kommunen ziemlich einfach und risikolos, Kredite am Markt für wenig Zinsbelastungen zu beschaffen. Deshalb auch die historisch geringe Zinslast von 136.000 Euro im Haushalt 2022, bei einer damaligen Kredithöhe von ca. 15 Millionen Euro. Zugleich lagen zu diesem Zeitpunkt von der Kommunalaufsicht genehmigte Kreditermächtigungen in Höhe von 25 Mio.€ schon aus den Vorjahren vor, die wissentlich und willentlich nicht in Anspruch genommen wurden, obwohl aus den beschlossenen Haushaltssatzungen deren Bedarf für zukünftige Projekte unmittelbar abzuleiten war.

Sogar für die „schwäbische Hausfrau“ wurde Mitte 2022 offensichtlich, dass das Zeitalter der Nullzinsphase zu Ende geht, spätestens als im Mai 2022 die US-Zentralbank Leitzinsen erstmals wieder erhöhte und der öffentliche Aufschrei an die europäische Zentralbank, dies zwecks Inflationsbekämpfung ebenfalls zu tun, immer lauter wurde. Hätten Stadtspitze und Kämmerei die eigenen Haushaltssatzungen ernst genommen, hätten spätestens jetzt Kredite auch tatsächlich aufgenommen werden müssen, deren Notwendigkeit ja hinterlegt war. Auch der aktuelle Finanzreferent Wollenberg (FDP), seines Zeichens Wirtschaftsprofessor und beständiger Mahner der Haushaltsvorsicht, hätte diese Zusammenhänge sehen können und an angebrachter Stelle mahnen müssen.

Anstatt dessen hat sich die Finanzverwaltung darauf beschränkt, sich Ende 2022 durch Geschäftsordnungsänderung im Eilverfahren (ähnliche Anträge der Fraktionen benötigen regelmäßig eine Beurteilungszeit von 6 Monaten seitens der Verwaltung) einen Quasi-Freibrief zu kurzfristigen Kreditaufnahmen zu verschaffen. Begründet wurde dies mit der nur kurzfristig verfügbaren und hohen Schwankungsbreite günstiger Kreditangebote, so als wären dort täglich zwei Broker mit nichts anderem beschäftigt. Tatsächlich aber hat die Stadt bis heute keine neuen Kredite aufgenommen.

Beträchtlicher Schaden für die Stadt

Für den zukünftigen OB wie auch für die Stadt ergibt sich daraus leider ein beträchtlicher Schaden: Er muss Wege finden, die von seinem Vorgänger hinterlassene Investitionslücke zu schließen. Zugleich muss er diese auch finanzieren und die mögliche, günstige Bereitstellung dieser Mittel ist verschlafen worden trotz entsprechender Vorgaben in beschlossenen Satzungen.

Zugleich verfallen fast die Hälfte der schon genehmigten Kreditaufnahmen mit Beschluss des Haushalts 2023, müssen von ihm also neu begründet und beantragt werden. Wie schon bei der Betrachtung der Raffschen Schattenhaushalte dargestellt, wird das aber schwierig, wenn die Bilanzen der sechs vorherigen Haushaltsjahre nicht vorliegen und hier ist eine schnelle Besserung kaum absehbar.

Mit dem jetzt vorgelegten Haushalt 2023 hinterlässt sein Vorgänger ihm logische Konsequenzen: Dort sind Zinsbelastungen von (bis 2026 summiert) 8 Mio. € hinterlegt. Deren Berechnungsgrundlage erschließt sich zwar nicht, weil die notwendig dazu zu tätigenden Kreditaufnahmen zumindest im Entwurf nicht ausgewiesen sind. Walter Schwarz kann sie aber interpretieren: Sollte die Kämmerei ihre Vorlage ernst nehmen und bis 2026 einen abzudeckenden Fehlbetrag von ca. 60 Mio.€ aufgrund zu tätigender Investitionen veranschlagen, entspräche die dazu nötige (noch lange nicht genehmigte) Kreditaufnahme einem Zinssatz von 5%. Aktuell liegt sie anstelle von nahe Null im Vorjahr bei 3,5-4%, was einer möglichen Kreditsumme von 100 Mio.€ entsprechen würde.

Nachdem auch wir nicht in die Glaskugel möglicher Zinsentwicklungen schauen können, erhellen solche Betrachtungen zwar Schlampereien, aber eben auch eklatanten und vermeidbaren Schaden für die Stadtkasse. Zu jedem Zeitpunkt der vergangenen Jahre war absehbar, dass für zukünftig nötige Investitionen (und eben nicht für das immer unterstellte Wunschprogramm) Kredite notwendig sein würden. Wären sie entsprechend der Haushaltssatzungen zum gegebenen Zeitpunkt aufgenommen worden anstatt Altkredite zu tilgen, hätte ein zukünftiger OB bei Amtsübernahme auch einen Spielraum, der vermutlich für aktuell veranschlagte Planungen Zinszahlungen im Bereich einer einzigen Million gekostet hätte. Jetzt wird er ein Vielfaches davon aufbringen müssen, bevor der erste Ziegelstein überhaupt gelegt werden kann.

Es wird also in Zukunft darauf ankommen, dass ein OB endlich Investitions- und Finanzplanung zusammenhängend sieht und diese auch durchsetzen wird.

Zum Thema Haushalt 2023 und unsere Haltung dazu finden Sie weitere Infos in diesen weiterführenden Artikeln:

Haushaltsberatung 2023: Königsdisziplin des Stadtrats oder gesteuerte Selbsttäuschung?
Der Schattenhaushalt oder wie man einen Stadtrat am investieren hindert
Anmerkungen des Autors:
Meine Frau hat sich bei Durchsicht meines Erstentwurfs zu Recht beschwert, sie empfände den Begriff der „schwäbischen Hausfrau“ als diskriminierend. Ich habe mich hier eines allgemein verwendeten Wortbilds bedient, das Angela Merkel 2008 als Inbegriff einer (über?)vorsichtigen Haushaltsführung verwendet hat. Weder will ich damit Schwäb:innen beschweren noch unterstellen, es gäbe keine schwäbischen Hausmänner.
Den Begriff Stadtratende habe ich erfunden. Auch er soll keineswegs die Kompetenz der gewählten Vertreter in Zweifel ziehen. Vielmehr möchte ich verdeutlichen, dass über Schattenhaushalte und intransparente Verfahrensweisen ihnen geradezu systematisch die Möglichkeit entzogen wird, solche Zahlenwerke aus eigener Anschauung angemessen nachvollziehen zu können.